Wenn man im Internet die
Entwicklung der Mitgliederzahlen der 6 im Bundestag vertretenen Parteien und
diejenigen der FDP vergleicht, stellt man fest, dass ein Schwund von rd. 2,3
Mio auf 1,2 Mio Mitglieder zu verzeichnen ist (1990 bis 2011). Reduziert also auf
fast die Hälfte.
Die Wahlbeteiligung bei
Bundestagswahlen hatte ihren höchsten Wert mit 91,1 % im Jahre 1972, sie sank
aber auf 71,5 % bei der letzten Wahl 2013. Bei Landtagswahlen erreicht die
Wahlbeteiligung kaum mehr als 60 %, in vielen Fällen liegt sie zwischen 50 und
60 %, bei jungen Wählern ist die Wahlbeteiligung sogar noch weit niedriger,
erreicht in manchen Bundesländern keine 40 % (Anteil der 21 bis 30jährigen in
Niedersachsen knapp 37 %). Die Beteiligung an Wahlen ist allerdings bei den 60
bis 70jährigen sehr oft am höchsten.
Nach einer Forsa-Umfrage
2014, bei der nach dem Ansehen verschiedener Berufe gefragt wurde, erhielten
Feuerwehrleute (hohes Ansehen bei 95 % der Befragten), Krankenpfleger (90 %),
Arzt (89 %) und Polizist (84 %) die höchsten Werte. Am unteren Ende der Skala,
also mit dem geringsten Ansehen, liegen Politiker (21 %), Mitarbeiter einer
Telefongesellschaft (18 %), Versicherungsvertreter (12 %). Damit liegen diese
z.B. weit hinter Dachdeckern, Briefträgern, Müllmännern und Journalisten
(Reihenfolge dieser Nennung ist jetzt zufällig). Auch bei Umfragen zur
Glaubwürdigkeit schneiden Parteien nicht gut ab, knapp 60 % der Befragten
halten die Bündnis-Grünen für glaubwürdig, 15 % die FDP, der Rest liegt
dazwischen.
Zusammenfassend muss man
konstatieren, dass die Politik und die Politiker insgesamt als Verlierer
(Ansehen, Glaubwürdigkeit, schwindendes Vertrauen, Stimmverhalten der Bürger
usw.) dastehen. Der Trend ist unübersehbar und setzt sich womöglich noch fort. Dies
deckt sich mit Äusserungen und Beobachtungen, die jeder hören und wahrnehmen
oder lesen kann.
Wie kam es dazu? Was sind
die Ursachen hierfür?
Ohne eine abschliessende
oder umfassende Analyse bieten zu wollen und zu können, möchte ich einige
wenige Anregungen liefern.
1. Fehlende Transparenz in der Politik
In dem Masse, wie die
Anforderungen an die Politik (insbesondere Wirtschafts-, Finanz-,
Sozialpolitik) gestiegen sind angesichts der Komplexität der Themen, der
internationalen Beziehungen, der EU usw., gelang es den Politikern nicht, die
Fragen oder Sachverhalte, um die es geht, transparent zu machen. Schwarz-Weiss-Malerei,
parteipolitische Interessen, Eitelkeit und Selbstverliebtheit der Politiker,
Teilhabe an der Macht, Fraktionszwänge und anderes mehr, scheinen dem
entgegenzuwirken. Man bemüht sich auch nicht um Verständlichkeit, ist doch die
Sprache der Politiker eine ganz eigene geworden.
2. Herkunft und Repräsentation der Politiker
Aus dem öffentlichen
Dienst und aus politischen und/oder gesellschaftlichen Organisationen kommen
47,2 % der Mitglieder des Deutschen Bundestages, weitere 16,5 % stammen als
Angestellte aus der Wirtschaft, 19,2 % kommen aus freiberuflicher Tätigkeit
(Anwälte, Notare, Steuerberater, Ingenieure Ärzte etc.). Nur 7,4 % gingen oder
gehen einer selbständigen Tätigkeit nach.
Diese Zusammensetzung
bietet wohl weder ein Abbild der Bevölkerung noch eine spezielle Grundlage für
eine Qualifikation als Politiker, es sei denn der Öffentliche Dienst und
Verbände und Gewerkschaften wären plötzlich eine Elite-Kaderschmiede. Es sieht
eher danach aus, dass gerade diejenigen kandidieren können, die sich leicht
beurlauben lassen können.
Dass alle Mitglieder einer
Partei sind, versteht sich von selbst. Als Nicht-Parteigänger sind die Chancen,
ins Parlament gewählt zu werden, geringer als auf dem Nordpol einen Hitzschlag
zu erleiden.
Ob sich der Bürger von
dieser Zusammensetzung des Parlaments verstanden und ernstgenommen glaubt, mag
bezweifelt werden, aber irgendwelche Leute müssen den Job ja machen, denkt sich
der unaufgeklärte Bürger, aber er bezweifelt, ob es gleich so viele sein
müssen.
3. Bildung
Privat über Politk zu
reden, führt oft zu Verdruss. Sei es, dass viele Leute nichts damit zu tun
haben wollen, sei es, dass vielen die bildungsmässigen Grundlagen fehlen, um
sich über Gesetze, politische Meinungen, Projekte (Infrastruktur),
Gesundheitssystem, Schul- und Hochschulbildung und Wirtschaftsthemen ein Urteil
zu bilden. Gute, durchaus auch kontroverse und respektvolle Gespräche und
Diskussionen über politische Themen sind eher seltene Erfahrungen.
Ganz zu schweigen davon,
dass vielen Bürgern ein grundlegendes Verständnis darüber, wie ein Staat
aufgebaut ist, wie Wirtschaft funktioniert, was Gewaltenteilung heisst und was
Bürgerrechte und –pflichten sind, abgeht. Es wurde ihnen nicht nahegebracht und
gefragt haben sie auch nicht. Aber das Wahlrecht besitzen alle, die volljährig
sind.
4. Wahlrecht
Unser bundesdeutsches
Wahlrecht ist schon was Spezielles. Die Alliierten legten nach dem II.
Weltkrieg Wert auf ein gezähmtes Deutschland und fürchteten eine zentrale
Machtstellung des Hauptstadtparlaments. So kam es, dass die ehemalige
preussische Fürstenkammer in der Gestalt des Bundesrates (ein vergleichbares
Element gibt es ansonsten nur in den Vereinigten Arabischen Emiraten) wieder
zum Leben erweckt wurde und der föderative Staat Bundesrepublik Deutschland das
Licht der Welt erblickte. Das Grundgesetz, vom Parlamentarischen Rat erarbeitet
und den Militärgouverneuren der drei westlichen Alliierten abgesegnet, nicht
vom deutschen Volk, trat in Kraft. In Bayern zunächst nicht, dort wurde es
abgelehnt und erst nachdem 2/3 der übrigen Länder zugestimmt hatten, traten die
Bayern dem Grundgesetz bei. Dabei gelang es den 65 Mitgliedern des
Parlamentarischen Rates sogar einen Abweichler kaltzustellen, der den
Fraktionszwang ablehnte.
In einem für Bürger nicht
mehr überschaubaren Gewirr von Zuständigkeiten, hoheitlichen Aufgaben und
Obliegenheiten walten nun Bundestag und Bundesrat ihrer Ämter, wobei die
Ländervertreter noch nicht einmal durch Wahlen legitimiert sind, sondern
einfach Abgesandte sind, Beamte, Funktionsträger der Länder.
So ergibt sich ohne
weiteres die Situation, dass eine Bundesregierung mit ordentlicher Mehrheit
gewählt werden kann, einen Kanzler oder eine Kanzlerin ihr eigen nennt und
dennoch nicht regieren kann, weil ihr im Bundesrat genau eine politisch anders
gepolte Ländermehrheit gegenüber sitzt, die alles, was ihr nicht passt,
verhindert, torpediert, aussitzt. Dies führt entweder zu einer Blockade und
führt den Wählerwillen ad absurdum oder es kommen faule Kompromisse heraus.
Einmal wird die politische Klientel bedacht, das nächste Mal die Kundschaft der
anderen Partei(en).
In jedem Falle wird es
teuer für die Bürger, weil damit Ausgaben verbunden sind.
Aber das ist noch nicht
alles.
Die Wahl zum Deutschen
Bundestag vollzieht sich nach einem System, das Verhältnis- und Mehrheitswahl
verbindet. Von den 598 Sitzen des Bundestags werden die Hälfte durch
Mehrheitswahl in den 299 Stimmbezirken vergeben (Erststimme). Mit der Zweitstimme
kann der Wähler nur eine Landesliste einer Partei wählen. Dabei kann nur für
die Liste insgesamt votiert werden, nicht für einzelne Kandidaten. Mit der
Landesliste lassen sich daher Spitzenkandidaten einer Partei, Altgediente,
Kofferträger und Akklamanten
hervorragend absichern. Der Wähler hat auf die Zusammensetzung der Landesliste
keinen Einfluss.
Gerade dieses Mischsystem
schafft Probleme, ganz unabhängig davon, wie bedenklich und fragwürdig das
Prinzip der Landeslisten auch ist, denn die Wahlmöglichkeiten des Bürgers
werden durch diese Listen beschränkt.
Während die relative
Mehrheitswahl den Kandidaten mit der relativ höchsten Stimmenzahl im Wahlkreis
kürt (jeder Wahlkreis erhält einen Abgeordneten) und dadurch in der Regel
stabile und klare Mehrheiten im Parlament schaffen (z.B. Grossbritannien),
schaffen Verhältniswahlen in der Regel Situationen, in denen keine Partei eine
klare Mehrheit bekommt, also Koalitionen gebildet werden müssen. Diese
erfordern Kompromisse und schaffen damit eine Mässigung, erschweren aber auch
Regierungsarbeit und Reformen. Koalitionen, oft überraschend und vor der Wahl
meist ausgeschlossen, bilden sich schon alleine deswegen, weil sie Teilhabe an
der Macht erlauben.
Zur Gewaltenteilung ist zu
sagen, dass bei uns die Grenzen zwischen Legislative und Exekutive immer mehr
verschwinden. Der Regierungschef wird von den Abgeordneten gewählt, nicht von
den Bürgern. Die Parlamentsmehrheit beruft den Kanzler und dadurch existiert
die Trennung praktisch nicht mehr. Es stehen keine zwei Gewalten gegenüber, die
sich gegenseitig kontrollieren, sondern sie sind personell und inhaltlich
miteinander verbandelt.
Dies wirkt sich besonders
fatal bei den Gesetzen im Bereich der Finanzpolitik aus; die mangelhafte
Gewaltenteilung führt tendenziell zu immer höheren Staatsausgaben und
zunehmender Verschuldung.
Es versteht sich als
Element politischer Hygiene, dass bei Wahlen diejenigen, die gewählt werden
wollen, nicht selbst abstimmen. Bei Vorstandswahlen im Verein zum Beispiel
leuchtet das jedem ein, warum nicht bei politischen Wahlen? Soll Konrad
Adenauer immer als Beispiel dienen, weil er sich mit seiner eigenen Stimme
damals zum Kanzler machen konnte?
5. Die Rolle der Medien
Medien behandeln Politiker
eher als Politstars, als Prominente, als Talk-Show-Gäste und nicht als
Volksvertreter, die einen Wählerauftrag ausführen. Bestrebungen von Politikern,
ihrem Wahlkreis etwas Gutes zu tun, unabhängig davon, ob dies sinnvoll ist oder
nicht, werden als vorrangige Aufgabe angesehen. Proporzdenken, Kleinstaaterei
und Profilierungssucht werden dadurch begünstigt.
Parteiprogramme, deren
Zustandekommen meist öffentlich geschieht, werden zwar verbreitet, aber oft
wenig kritisch hinterfragt in den Medien. Abweichende Meinungen fallen meist
gar nicht ins Gewicht, die Parteimeinung hat Vorrang. Dabei wünscht der Wähler
geradezu eine kontroverse Debatte und dass Minderheitsmeinungen ebenso in
Betracht gezogen werden und durchgesetzt werden können.
Gleichförmigkeit ist die
Folge dieser durch den Parteitagswolf gedrehten politischen Absichterklärungen.
Wenn es im Plenum um die Umsetzung geht, gilt die strenge Parteidisziplin, denn
abweichende Meinungen werden sich negativ auf die Position in der Landesliste
oder die nächste Kandidatur auswirken.
Dies ist der Zeitpunkt, an
dem dem letzten Wähler klar wird, dass er sich nicht für eine Person
entscheiden kann, sondern für eine Partei, von der er aber auch nicht weiss,
was diese aus dem Votum des Bürgers macht.
Nachteile unserer
Wahlsystems, Mängel des föderativ organisierten Staates, Reformstau und
Tauziehwettbewerbe im Bundesrat oder zwischen Bundesländern (Finanzausgleich)
finden nicht genügend kritische Auseinandersetzung in den Medien. Entweder man
findet gar nichts zu diesen Themen in den Medien oder nur Bestätigung des
Status Quo, der ja gar nicht so schlecht sein kann angesichts der
vergleichsweise stabilen wirtschaftlichen Systeme des Landes.
Auch da glänzen die Medien
mit Schweigen, stellen politische und wirtschaftliche Folgen von Gesetzesänderungen
nicht in der gebührenden Dimension dar (z.B. Rentenpolitik, demographischer
Wandel).
Die Tatsache, dass wir in
einem erheblichen Reformstau stecken, für dessen Beseitigung der politische
Wille zu fehlen scheint, findet kaum Beachtung in den Medien, dabei wäre es
deren Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen:
Beispiele:
- ·
Steuervereinfachung
(die Herren Merz und Kirchhof lassen grüssen)
- ·
Marode
Infrastruktur (Strassen, Brücken, Schleusen)
- ·
Zu hohe
Verwaltungskosten (zu viele Personen sind mit Verwaltung und Umverteilung
befasst)
- ·
Wirrwarr an
hoheitlichen Zuständigkeiten (Bund/Länder/Kommunen) und Milliardengrab
Föderalismus (16 Länderparlamente, Regierungschefs und Kabinette mit
Staatssekretären usw.)
6. Europäische Union
In dem Masse, wie Brüssel,
Strassburg und Luxemburg an Bedeutung und Macht gewinnen und in das Leben der
EU-Bürger hineinregieren, schwindet die Akzeptanz des Hauses Europa. Wohl kaum
verwunderlich, wenn man eine Währungsunion einführt ohne zuvor die wirtschaftlichen
Systeme angeglichen (Steuerharmonisierung, Gesetze), eine politische und vom
Wähler legitimierte Union geschaffen und damit eine EU-Identität realisiert zu
haben.
Die EU-Kommission ist vom
Wähler nicht legitimiert, die Ernennung der Kommissare obliegt dem
Kommissionspräsidenten und den 28 Mitgliedsländern, das EU-Parlament kann
zustimmen oder ablehnen, aber nicht vorschlagen. Eine Kandidatur gibt es nicht.
Auch im EU-Parlament ist Fraktionszwang kein Fremdwort.
Unbehagen ist wohl eine
eher untertriebene Bezeichnung für das Gefühl des EU-Bürgers, wenn er diese
Institutionen betrachtet und nicht von ungefähr haben EU-kritische Parteien
oder Gruppen Aufwind, was von den etablierten Parteien missmutig betrachtet
wird, ohne dass Lehren daraus gezogen würden. Abgesehen davon haben viele Menschen
den Eindruck, dass hier mit vollen Händen gigantische Steuergelder auf womöglich
ineffiziente und intransparente Weise ausgegeben werden. 8,6 Mrd. € gibt die EU
alleine für ihre jährliche Verwaltung aus, 44 Mrd. € für die Landwirtschaft und
Fischerei, 56 Mrd. € für wenig entwickelte Gebiete oder für Wachstumsimpulse von
Regionen und nur 0,4 Mrd. € für Umwelt- und Klimapolitik (alle Zahlen 2015).
7. Das Geld
Es gibt tatsächlich
Länder, in denen die Bürger bestimmen, wieviel Geld dem Staat und seinen
Gebietskörperschaften zur Verfügung steht. Das ist auch im Grunde das wichtigste
Mandat, das ein Wähler vergeben kann, in dem er das Geldausgabemonopol überträgt
oder nicht, weil er unmittelbar davon betroffen ist.
Hierzulande brüstet sich
ein Finanzminister, dem ich seine profunden Steuerkenntnisse nicht absprechen
will, denn er war u.a. auch in der Finanzverwaltung tätig (ein eher seltener
Fall in der Politik, wo fachliche Kenntnisse und berufliche Anforderungen sich
nicht widersprechen), eine schwarze Null geschafft zu haben. Dabei wird
verschwiegen, dass die überraschend gute und nicht vorhersehbare konjunkturelle
Belebung zu erheblichen Mehreinnahmen und die EZB-Zinspolitik zu deutlichen
Minderausgaben beim Bundesschuldendienst geführt haben.
In besagten Ländern, z.B. USA,
Schweiz, müssen Bürger darüber abstimmen, wenn ein bestimmter einmaliger oder
jährlicher Betrag an Ausgaben (für Investitionen) überschritten wird. Ergebnis:
die Verschuldung ist geringer als im Vergleich und die Steuersätze niedriger.
Wer fürchtet sich bei uns
davor, dem Bürger mehr Mitspracherechte zuzugestehen? Die Parteien. Genau
diejenigen, die vor der Wahl von und vor „mündigen“ Bürgern sprechen,
entmündigen diese nach der Wahl, weil der Bürger ja keine Ahnung hat, gegängelt
und per Verordnungen geführt werden muss. Der Bürger hat dabei viel eher das
Gemeinwohl im Auge, als der Politiker, der sich Partei- und Funktionärsinteressen
zu eigen macht und seine Position absichern möchte.
Noch besser wäre es, dass
nach einer überfälligen Steuervereinfachung die Bürger entscheiden müssen über
Steueränderungen.
-
o –
Ausgehend von dem Phänomen „Politikverdrossenheit“
habe ich wichtige Hinweise und Sacherhalte zu einzelnen Themen durch das Buch
von Herrn Florian Felix Weyh „Die letzte Wahl“, Frankfurt 2007, (Die Andere Bibliothek) erhalten, und kann
dieses Buch sehr empfehlen.